An den Baum mit den schlechten Gewohnheiten!
Der Nuggibaum
Eine Hilfestellung für verzweifelte Eltern und eine wunderschöne Geschichte von Lorenz Pauli
Eine Hilfestellung für verzweifelte Eltern und eine wunderschöne Geschichte von Lorenz Pauli
Der Nuggibaum. Ein Baum zum «entschnullern». Für Eltern eine hilfreiche Methode den Nuggi der Kinder zu verbannen, für rationale Kinderlose eine lustige Vorstellung schlechte Gewohnheiten an den Baum zu hängen. Ob es nun Laster oder Nuggis sind, dieser Beitrag regt Fantasien an.
Was zur Hölle ist ein Nuggibaum?
Als mir von der neuen Attraktion auf dem Gurten erzählt wurde, verrutschten meine Augenbrauen Richtung Himmel. Das Emoij mit den hochgezogenen Augenbrauen, nach oben blickend mit Daumen und Zeigefinger am Kinn würde meinen Gesichtsausdruck perfekt wiedergeben (🤔)Was zur Hölle ist ein Nuggibaum und wer benötigt so etwas? Nach der ausführlichen Erklärung meiner Vorgesetzten konnte ich mir diesen berüchtigten Baum voller Schnuller visuell vorstellen, doch die Frage blieb mir: wer braucht einen Baum, um sich etwas abzugewöhnen? Auch wenn Netflix dagegensprechen würde, behaupte ich, dass ich weder ein Suchtverhalten noch sonst eine Abhängigkeit habe. Doch was hat Abhängigkeit nun mit einem Nuggibaum zu tun?
Das ist ein Nuggibaum bzw. Schnullerbaum:
Ein Schnullerbaum dient der einfacheren Schnuller-Entwöhnung eines Kleinkinds. […] Der Gedanke ist, dass das Kind die sonst eher problematische Trennung vom Schnuller mit einem positiven Erlebnis verbindet, da es den Schnullerbaum jederzeit besuchen und auf diese Weise auch an die Natur herangeführt werden kann. Es sieht, dass auch andere Kinder ihren Schnuller abgegeben haben.
(Quelle: Wikipedia)
Abschied und seine Tücken
Offen zugegeben, ich war kritisch. Als unabhängige Person, ohne Kinder im näheren Umfeld ist ein solch grosses Tamtam um einen Nuggi irrational. Weshalb benötigt Kind ein Ritual für die «Entschnullerung»? Warum fällt der Abschied von Plastik so schwer?
Dafür ist der angeborene Saugreflex verantwortlich. Dieser ist in den ersten Lebensmonaten stark ausgeprägt. Saugen, Schlucken und Atmen: Diese Reflexe sichern das Überleben. Im Laufe der Zeit entwickelt sich dieses Bedürfnis zurück, da wir unsere Nahrungszufuhr anpassen und zurück bleibt schlichtweg nur noch eine (schlechte) Angewohnheit, das «nuggelä».
Und wie wir Erwachsenen die Macht der Gewohnheiten kennen: Wir können sie (fast) nicht ablegen. Der schwerfallende Abschied betrifft nicht unbedingt den Gegenstand, vielmehr sind es die angewöhnten Tücken. Im Gegensatz zum Nuggibaum habe ich, als rationale erwachsene Person mit Laster, natürlich vollstes Verständnis für schlechte Gewohnheiten. Stellen Sie sich den Wald vor, wenn wir unsere Erwachsenenlaster einfach an einem Baum aufhängen könnten: Fichten voller schmutzigen Tassen, Sträuche der gebrochenen Versprechen, Tannen des «Fingerneguchnübles», Busch der Zigaretten und Alkohol, Strauss der schlechten Körperhaltung, Birke des Zuspätkommens, Eiche der unbeantworteten Nachrichten etc.
Besten Dank an die Künstler*in:
Das Versli von Lorenz Pauli und die Visualisierung durch Martina Friedli.
Warum überhaupt soll man den Nuggi abgewöhnen?
Schlechte Angewohnheiten beeinflussen unseren Alltag und wirken sich meist negativ auf unsere Gesundheit aus. So auch beim bei diesem Silikonsauger: Der Schnuller, wie auch das «Dümele», führt zu Fehlstellungen der Zähne. Es entstehen der sogenannte lutschoffene Biss und Fehlstellungen der bleibenden Zähne. Deswegen sollte der treue Gefährte Nuggi spätestens bis zum dritten Lebensjahr weg.
Ideen zur «Entschnullerung»
Während der Recherche und Diskussionen mit Eltern sind herzerwärmende Ideen zusammengekommen, welche helfen sollen, den Nuggi abzugeben:
Hasenbabys: Damit die Hasenbabys schlafen können, benötigen Sie einen Nukkel. Der (Oster)Hase ist darauf angewiesen, dass die Menschenkinder die Nuggis abgegeben. Im Tausch gegen ein Osternäschtli nimmt der Hase die Schnuller für seine kleine Häschen mit.
Samichlous: Auch bei der Version mit dem Weihnachtsmann eignet sich ein Tauschhandel. Im Gegenzug zur Nuggiabgabe gibt es einen mit Süssigkeiten prallgefüllter Stiefel.
Nuggifee: Nachts kommt die Nuggifee um den Nuggi zu abzuholen und diesen einem anderen, kleineren Kind weiterzugeben, das keinen hat. Dafür legt die Fee eine Überraschung auf den Nachttisch.
Nuggibett: Der Nuggi ist vom langen Einsatz müde und benötigt ein Rückzugsort. Ein selbstgebastelte Schächteli mit Decke und Kissen für den Silikonlutscher, kann den Nuggi vom Mund fernhalten.
Verschenken: Wenn es im Bekanntenkreis ein Neugeborenes gibt, kann das Kind den Schnuller an das Baby, das ihn dringender braucht, weitergeben. Diese (symbolische) Weitergabe hilft beim Abschied, da der geliebten Nucki nun in guten Händen ist.
Versenden: Der Nuggi wird in einem Päckli an eine «Geheimadresse» bzw. an die Adresse der Grosseltern oder der Gotte gesendet. Anonym kommt dann ein Ersatz wie z.B. ein Nuscheli zurück.
Nuggibaum: Der Nuggi wird an einem dafür vorgesehenen Baum aufgehängt. Während dieses Prozesses wird dem Kind eine Geschichte erzählt.
Stv. Leiterin Eventmanagement
Der Nuggibaum auf dem Gurten
Auf dem Gurten wurde am 26. März der höchste Berner Nuggibaum eingeweiht. Der Standort ist dabei kein Zufall: Denn der Mann im Mond, der seine Nuggis von der Erde zurückholen muss, ist bereits alt und hat sich gewünscht, nicht bis in die Stadt zu müssen. Der Berner Geschichtenschreiber Lorenz Pauli hat dazu eine wunderschöne Geschichte geschrieben, die den Kindern während der "Entschnullerungszeremonie" erzählt werden kann.
Der Nuggibaum wurde vom Kulturprozent der Migros Aare finanziert. Erfahren Sie mehr über das Engagement des Kulturprozents